REPORTAGE
Marokko: die „blaue Stadt“ Chefchaouen
30. Mai 2020
Blaue Wände. Blaue Türen. Blaue Treppen. Chefchaouen ist ein blauer Traum aus 1001 Nacht. Ein blaues Spektakel.
Kurvige Anfahrt
Die Flanken des Rif-Gebirges werfen sich auf. Stauseen glitzern in der Sonne. Straßenstände mit Keramik und Zwiebeln ziehen vorbei. Oliven und Feigenkakteen drängen an die kurvige Strecke.
Wir sind im Norden Marokkos unterwegs. Unser Ziel: Chefchaouen, 65 Kilometer südlich von Tétouan. Hoch über dem Städtchen zeichnen sich zwei massige Bergbuckel ab. „Die Hörner“ heißen sie.
Eine magische Farbflut
Chefchaouen zieht wie magisch hinein in die Farbflut. Überall leuchtet es blau. Häuser von oben bis unten. Türen. Fenstergitter. Hellblau, Dunkelblau, Himmelblau.
Was für Massen an Farbe mögen hier gebraucht werden! „Die Leute streichen ihre Häuser ein-, zweimal im Jahr nach“, sagt Führer Aalae. Sie halten auch rundherum alles sauber.
In den Blauanstrichen sieht Aalae keine Symbolik, von der man in manchen Quellen liest: der Himmel, das Mittelmeer, die Quelle des Lebens. „Stimmt alles nicht“, winkt Aalae ab. Seine denkbar einfache Erklärung lautet: damit das ursprüngliche Weiß unter der intensiven Sonne Marokkos nicht so in den Augen sticht. Dafür wären auch andere Farben geeignet. „Aber das ist nicht erlaubt“, sagt Aalae.
Treiben lassen durch die Altstadt
Lasst euch durch die verwinkelte Altstadt, die Medina, treiben. Ohne Plan, aber mit Instinkt. Für die Entdeckung gibt Aalae einen Tipp an die Hand: Gassen mit blauen Böden sind gewöhnlich Sackgassen.
Chefchaouen wurde 1471 von Mauren gegründet, die aus Spanien geflohen waren. Das erklärt die spanischen Straßennamen.
Die Farbe Blau ist Chefchaouens Wahrzeichen, Prädikat, touristische Politur. Da darf der blühende Kommerz der Geschäfte nicht fehlen. Ob Lederwaren, Silberschmuck, Decken, Teppiche. Die „Vereinigung der blinden Kunsthandwerker“ ist auf Webwaren aus Schaf- und Lammwolle spezialisiert.
Fotos wie Gemälde
Kamera oder Handy braucht ihr gar nicht erst wegzupacken. Die Abfolge an Stillleben und idyllischen Winkeln ist fantastisch. Da wird jedes Foto zur Postkarte, zum Gedicht, zum Gemälde.
Wäscheleinen heben sich vor blauen Wänden ab. Blau bemalte Stufen steigen an. Blumentöpfe zieren blaue Fassaden. Mal döst ein Hund davor, mal huscht eine Katze vorbei.
Highlights sind Gassen wie Hach Mujtar, Sidi Buchoka, Entre Acequias und El Asri. Manches ist derart blau, dass es irreal wirkt.

Eine geniale Täuschung
Die Altstadthäuser haben dicke Mauern, die einen doppelten Zweck erfüllen. Im Sommer strahlen sie Kühle ab. Im Winter halten sie die Kälte zurück. Heizung hat in der Medina laut Guide Aalae niemand. Dabei können die Temperaturen im Winter bis auf den Gefrierpunkt fallen.
Aalae kennt auch den Blick hinter die Fassaden der Häuser. „Viele wirken von außen bescheiden“, sagt er, „aber drinnen sieht es oft anders aus.“ Eine geniale Täuschung. Es gebe Wohlstand, kühle Höfe, Brunnen.
Olivenöl aus Colaflaschen
Die Medina ist nicht nur Besucherterrain. Hier lebt fast die Hälfte der 45.000 Bewohner der Stadt. Hier spielt sich der Alltag ab. Schulkinder flitzen umher. Ein Lieferwagen zwängt sich millimetergenau durch eine Gasse. Eine winzige Bäckerei ist seit Jahrhunderten in Betrieb. Noch immer werden Fladenbrote in einem holzbefeuerten Ofen gebacken. Ein Straßenhändler bietet getrocknete Feigen und hausgemachtes Olivenöl an. Das Öl ist in Colaflaschen abgefüllt.






Die Farben im kleinen Festungsgarten
Irgendwann landet ihr auf dem Zentralplatz Outa Hamam. Dort liegen einige Restaurants, die Hauptmoschee und die historische Festung Alcazaba.
Unser Tipp: Geht weit um die Festung auf die andere Seite. Dort kommt ihr in eine kleine Gartenanlage. Bänkchen laden zur Rast ein. Der Blick steigt auf in die Berge. Das Braun der Burgzinnen und Mauern hat das Blau der Häuser abgelöst. Dafür leuchten jetzt die Blütensträucher. Grün. Gelb. Rot. Violett.
