REPORTAGE
Mit dem Hausboot durch die Bretagne
Wer sich ein Hausboot mietet und in Eigenregie voran schippert, wirft den Alltagsstress über Bord. Das ist Entschleunigung bei maximal 10 km/h und in der Bretagne ohne Führerschein möglich.
Wind zieht entgegen auf der Vilaine und kräuselt das Wasser. Der Fluss beschreibt weite Schleifen durch einen Saum aus Wald- und Wiesengrün. Dann wieder liegt eine lange Gerade voraus. Langsam schnurrt das Hausboot voran. Das Maximaltempo beträgt 10 km/h. Teppiche aus gelben Seerosen schaukeln in den winzigen Wellen. Am Ufer neigen sich Zweige von Trauerweiden ins Wasser. Vögel zwitschern. Hier, im Inland der Bretagne, strömt die Ruhe der Flusslandschaft ins eigene Innere und senkt sich auf den Grund der Seele.
Kein Stau, kein Stress
Hausbootfahren ist pure Entschleunigung und so, als würde man eine Ferienwohnung übers Wasser steuern. Ohne Stau. Ohne Stress. Das bedarf allerdings einer gewissen Eingewöhnung, denn ein Hausboot ist kein Zwerg: knapp 15 Meter lang und elf Tonnen schwer. Will man bremsen, legt man den Rückwärtsgang ein – hat aber keinen Rückspiegel. Bei der Lenkung hilft über das Steuerrad hinaus der Knopf für das Bug- und Heckstrahlruder. Das ist wichtig bei der Ein- und Ausfahrt in Schleusen, bei den Landemanövern in Häfen sowie kostenlosen Stegen mit Pollern an der Strecke. Zum Glück trägt das Boot rundum einen Gummierungsschutz. Es ist also nicht dramatisch, irgendwo leicht anzustoßen.
Start im Hafen von Messac
„Man muss das Boot spüren, dann kommt alles von allein“, sagt Laurent Guibert vom Hausboot-Verleih bei der Einweisung im Hafen von Messac. Eine intensive Einführung und die Probefahrt unter dem Blick des Technikers reichen aus, um das Boot selber zu steuern. Einen Führerschein braucht man in Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden dafür nicht.
Monsieur Guibert gibt massenhaft Tipps: „Immer langsam in die Schleusen fahren. In den Häfen vor der Abfahrt die Taue und das Stromkabel lösen. Unterwegs auf Fischer achten. Und vor niedrigen Brücken das Sonnensegel einholen. Rote Bojen bedeuten Gefahr.“ Das muss man erst einmal sacken lassen.
Die klassische Mietdauer liegt bei einer Woche. Dafür muss man natürlich ausreichend Proviant einkaufen.

Eigener Mikrokosmos
Hausbootfahren ist als Urlaubsform im Aufwind. Jedes Boot ist ein eigener Mikrokosmos aus Freunden, Familie. Da ist man wie in einer Blase unterwegs und hält sich fern von Massenbetrieb. Statt sich an vollen Stränden und Hotelbüffets zu drängen, genießt man die selbstbestimmte Freiheit. Man kocht gemeinsam, sitzt an Deck, legt nach Lust und Laune eine Pause ein. Auf dem Netz aus Flüssen und Kanälen ist man keiner festen Route unterworfen. Einfach spontan abbiegen – warum nicht?
Räder dazubuchen
Ein Plus der Unabhängigkeit geben Fahrräder, die sich vorab über den Verleiher hinzubuchen lassen. Zur Abwechslung radeln wir einfach mal ein Stück am Nantes-Brest-Kanal entlang. Oder morgens zum Dorfbäcker, um frische Croissants und Baguettes zu kaufen. Einfach traumhaft. Da fühlt man sich wie Gott in Frankreich.
Stopp in La Gacilly
Lohnendes Ziel ist der Ort La Gacilly, die Zufahrt über das schmale Flüsschen Aff einfach traumhaft: lange Passagen dicht unter Blätterdächern hindurch. In La Gacilly endet die Strecke kurz vor der Brücke. Dahinter versperrt ein Wehr die Weiterfahrt. Das Manöver im winzigen Hafen hat seine Tücken: rückwärts in die „Wasser-Parklücke“ für die Nacht. Es gilt, das Boot zwischen zwei enge Stege zu manövrieren. Am Ende heißt es erleichtert: Geschafft! Darauf an Deck einen Kir Breton, einen Mix aus moussierendem Apfelwein und schwarzem Johannisbeersirup. Na denn „yec‘hed mat“, Prosit auf Bretonisch.
Am Abend bleibt die Bordküche unberührt. Inmitten von Kulissen aus Bruchsteinhäusern und Blumenpracht genießen wir süße und herzhafte Pfannkuchen in einer der Creperien.
Tags darauf folgt der Besuch im Museum für Yves Rocher (1930-2009). Rocher stammte aus La Gacilly und war ein weltweit bekannter Pionier in Sachen Naturkosmetik. Das moderne Museum trägt allerdings zu dick auf mit Eigenwerbung. Da freut man sich, später wieder Flusswasser unter sich zu spüren.












Meditatives Reisen
Unterwegs auf dem Hausboot wird man automatisch zum Reisepsychologen seiner selbst. Da ist es die Suche nach der idealen Fahrlinie. Da sind es kontrastreiche Wechsel aus Flachland und Hügeln, aus Sonne und Schatten, aus Kurven und Geraden. Sind das nicht Metaphern des Lebens? Hier ist man nicht auf der Überholspur auf Achse, in keinen Trott gezwängt. Sich einfach Zeit nehmen – das verlernt man sonst fast in unserer reizüberfluteten Welt.
Es muss nicht immer spektakulär, schriller, höher, weiter sein im Urlaub. Für ein intensives Erleben reicht schon die Stille auf einer Wasserstraße in der Bretagne. Da baden die Spiegelbilder von Himmelblau und Wolken im Fluss. Da tanzen Libellen, fächern sich Farne am Ufer auf, leuchten Fingerhüte in Violett. Zum Glück gibt es an Bord keinen Fernseher. Alles ist im Fluss und Hausbootfahren eine meditative Art des Reisens, die in die Tiefe geht.
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